Trainer Faris Al-Sultan über den Ironman „Man darf da nicht nur so durchballern“

Faris Al-Sultan ist eine deutsche Triathlon-Ikone. Der ehemalige Champion und Weltmeister-Trainer spricht über seine Sehnsucht nach Paradiesvögeln – und weshalb er seinen Flug nach Hawaii verfallen ließ.

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Faris Al-Sultan im Jahr 2005: Sein erster und einziger Hawaii-Titel

Donnerstag, 10.10.2019  
18:31 Uhr

Zur Person

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Faris Al-Sultan, Jahrgang 1978, geboren in München, Sohn eines Irakers und einer Deutschen, ist ein ehemaliger Triathlet, der 2005 als dritter Deutscher den Ironman auf Hawaii gewann – seine Zeit betrug damals 8:14:17 Stunden. 2015 beendete Al-Sultan seine Karriere, heute ist er unter anderem Trainer von Ironman-Weltmeister Patrick Lange. Seit 2018 ist Al-Sultan zudem Bundestrainer des deutschen Triathlon-Verbands.

SPIEGEL: Herr Al-Sultan, Sie sind der Trainer von Ironman-Weltmeister Patrick Lange. Aber Sie können dieses Jahr bei seinem Rennen auf Hawaii am Samstag nicht mit dabei sein. Was ist passiert?

Al-Sultan: Mein Visum für die USA ist Anfang dieses Jahres ausgelaufen. Daher musste ich nun eine Esta-Genehmigung beantragen, was mir spät, aber grundsätzlich innerhalb der Frist von 72 Stunden vor Abflug auch eingefallen ist. Leider steht die Prüfung durch die US-Behörden immer noch aus, mein Flug nach Hawaii wäre aber schon am Dienstag gegangen.

SPIEGEL: Wie geht es Ihnen damit?

Al-Sultan: Das ist ein Witz. Mein ganzes Leben als Erwachsener kann man doch bei Google nachlesen. Für Patrick tut es mir leid, dass er nun ohne Coach auf Hawaii antritt. Ich spare mir dafür 48 Stunden Reise, zwei Wochen Jetlag und jede Menge CO2.

SPIEGEL: Bei Google kann man übrigens auch eine Geschichte aus Ihrer Zeit als Minderjähriger nachlesen: Als 16-Jähriger haben Sie sich zwei Jahre älter gemacht, um bei einem Marathon starten zu dürfen. Warum wollten Sie dort unbedingt mitmachen?

Al-Sultan: Ich habe die Herausforderung gesucht, wie das junge Menschen so machen. Im Sport fand ich die, ich war schon im Schwimmverein, aber dort wurde schnell klar, dass das nichts wird. Also musste was anderes her – der Marathon.

SPIEGEL: Welche Zeit sind Sie gelaufen?

Al-Sultan: 3:10 Stunden. Das hat mich natürlich sehr enttäuscht.

SPIEGEL: Wie bitte? Das ist doch eine starke Zeit fürs erste Mal.

Al-Sultan: Ich habe gedacht, ich müsste noch viel schneller sein. Ich hatte schließlich hart trainiert und auf viele Dinge verzichtet. Von Alkohol war ich eh kein Fan und auf Partys war ich immer der Letzte, der gekommen ist, und der Erste, der wieder gegangen ist. Das Training hat mich einfach müde gemacht.

SPIEGEL: Klingt einsam. Haben Ihre Eltern sich Sorgen gemacht?

Al-Sultan: Ich war kein Freak und auch nicht isoliert, ich hatte Freunde. Meinen Eltern war der Ausdauersport egal. Das soll jetzt nicht nach Verwahrlosung klingen, aber solange meine Noten in der Schule stimmten, durfte ich machen, was ich wollte.

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Warum nicht mal Cross-Triathlon? Al-Sultan im Jahr 2014

SPIEGEL: Es wurde dann schnell extrem bei Ihnen: Schon als 19-Jähriger waren Sie erstmals beim Ironman am Start, der längsten Triathlon-Distanz. Woher kam die Faszination dafür?

Al-Sultan: Ich habe die Bilder vom Ironman auf Hawaii gesehen und war begeistert von Thomas Hellriegel. Diese Härte zu sich selbst, die hat er so gut verkörpert wie kein anderer Triathlet. Beim Radfahren wollte er sofort allen davonfahren. Kein Taktieren, keine Rücksicht auf Verluste. Heute würde man sagen, das war nicht die klügsteTaktik. Aber mir hat sie damals sehr imponiert. Ich wollte auch so ein harter Kerl sein.

SPIEGEL: Wie hart muss ein Ironman denn sein?

Al-Sultan: Der Sport ist sehr fordernd. Der Athlet muss deswegen ein anspruchsvolles Trainingspensum durchstehen können. Beim Ironman kommt es sehr auf die Physis an, aber auch ein enormer Wille ist sehr wichtig. Im Rennen selbst muss man klug sein und sich die Kräfte einteilen können. Da darf man nicht nur so durchballern.

SPIEGEL: Sie sind 2005 Hawaii-Champion geworden und haben in Ihrer Karriere 13 Mal an der Weltmeisterschaft teilgenommen. Spüren Sie diese Jahrzehnte Hochleistungssport heute?

Al-Sultan: Mir geht es bestimmt deutlich besser als einem Tennis- oder Handballspieler. Solche Sportler sind nach ihrer Laufbahn sehr beschädigt durch die permanenten Stoßbelastungen. Die gibt es im Triathlon nicht. Aber klar, wenn ich mir jetzt auf die Oberschenkelmuskulatur fasse, fühlt sich das so an, als wären dort überall kleine Reiskörner unter der Haut. Das ist schon komisch. Am Rücken habe ich auch manchmal meine Wehwehchen.

SPIEGEL: 1999 waren Sie das erste Mal auf Hawaii dabei, zuletzt waren Sie auch als Trainer von Patrick Lange auf der Insel, der unter Ihnen zweimal Weltmeister geworden ist. Wie hat sich die Veranstaltung im Vergleich zu damals verändert?

Al-Sultan: Früher gab es viel mehr Paradiesvögel. Die ganze Veranstaltung war viel lauter, wilder, bunter. Es gab Schnauzbärte und Vokuhilas. Und die Klamotten von damals! Wir sind bauchfrei und in Badehose rumgelaufen, manche trugen lila, andere neongelb. Damals war der Ironman noch ein echtes Abenteuer, aber man merkte auch schon zu meiner Zeit, dass es weniger wird.

SPIEGEL: Vermissen Sie die alte Zeit?

Al-Sultan: Nicht unbedingt. Aber mir fehlen junge Athleten, die unbedingt wollen. Die auch bereit sind, sich komplett zu zerstören, die Fehler einkalkulieren, überziehen und gegen jede Wissenschaft fahren. Heute hat jeder seinen Trainer, jeder guckt auf den Leistungsmesser und blickt auf die Herzfrequenz. Wenn jeder immer nur sauber seine Wattzahlen auf dem Fahrrad fahren will, dann wird der Zuschauer auch irgendwann abschalten.

SPIEGEL: Patrick Lange ist 33 Jahre alt, Sebastian Kienle 35 und Jan Frodeno sogar schon 38. Auch viele internationale Athleten sind schon über 30. Wo sind denn überhaupt die jungen Triathleten beim Ironman?

Al-Sultan: Wenn man sich die Alterspyramide der Teilnehmer ansieht, dann wird das in diesem Jahr tatsächlich eine Seniorenveranstaltung. Junge Teilnehmer unter 25 Jahren fehlen fast komplett. Zu meiner Zeit war das anders, ich war schon mit 21 Jahren das erste Mal auf Hawaii dabei.

SPIEGEL: Warum ist das heute so?

Al-Sultan: Das liegt daran, dass es inzwischen viel mehr Triathlonrennen der Kurz- oder Mitteldistanz gibt. Da wollen sich die jungen Leute erstmal austoben; für diese Wettbewerbe müssen sie weniger trainieren und sie können mehr von denen in einer Saison bestreiten und so Wettkampferfahrung sammeln.

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Bitte immer extrem: Faris Al-Sultan bei einem Wettkampf in Abu Dhabi

SPIEGEL: Kurz vor dem Ironman im vergangenen Jahr hatte Sebastian Kienle Ihrem Schützling Patrick Lange vorgeworfen, er fahre im Windschatten, was auf Hawaii verboten ist. Gefällt es Ihnen, wenn sich die Athleten auch mal untereinander attackieren?

Al-Sultan: In diesem Fall war das Schwachsinn von Sebastian Kienle, auch wenn Patrick 2016 wegen Blocking eine Zeitstrafe bekommen hatte (Anm. d. Redaktion: grundloses Fahren in der Mitte und die dadurch verursachte Behinderung überholender Athleten wird Blocking genannt). Aber die Aussagen haben mich geärgert. Auf Hawaii wird inzwischen sehr hart durchgegriffen, wenn jemand im Windschatten fährt. Natürlich hat man immer noch einen positiven Effekt, wenn man den Mindestabstand einhält und elf Meter hinter jemandem fährt, so wie Patrick das macht. Aber das ist dann halt kein Schummeln mehr.

SPIEGEL: Patrick Lange antwortete auf die Vorwürfe mit der Titelverteidigung, er unterbot in dem Rennen auch die magische Acht-Stunden-Grenze von Hawaii. Was ist dieses Jahr für ihn möglich?

Al-Sultan: Patrick ist umgezogen, er hat geheiratet, musste noch mehr Sponsorentermine wahrnehmen. Dann war er krank, die Wettkämpfe sind nicht optimal gelaufen. Es hat sich ziemlich viel verändert in seinem Umfeld, und auch in seinem Training – wir wollten dieses Jahr vor allem an seiner Grundschnelligkeit arbeiten, der Plan ging aber nicht voll auf. Sollte es in diesem Jahr nicht mit dem Titel klappen, wissen wir, woran es gelegen hat.

SPIEGEL: Beim Ironman auf Hawaii hat es schon seit Jahren keinen öffentlich bekannten Dopingfall mehr im Profi-Rennen gegeben. Das kann doch eigentlich gar nicht wahr sein.

Al-Sultan: Ich verstehe schon: Schwimmer dopen, Radfahrer dopen, Läufer dopen – also warum sollte einer, der alles drei macht, nicht auch dopen? Aber betrachtet man jede Sportart einzeln, dann geht es dort allein um die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit. Alles um den größten Motor – wer ihn hat, gewinnt das Rennen.

SPIEGEL: Und beim Ironman?

Al-Sultan: Dort spielen Laufökonomie oder Ermüdung für mich eine viele größere Rolle als Doping, auch wenn das natürlich auch helfen dürfte. Manche können nicht so aerodynamisch auf dem Fahrrad sitzen oder darauf nichts essen. Das sind dann schlechte Voraussetzungen, selbst wenn der Athlet gedopt sein sollte. Sehr gute Chancen auf den Sieg hat auch der, der am meisten trainiert hat – dadurch kann man schon enorme Leistungssprünge machen.

SPIEGEL: Der Ironman-Veranstalter WTC hat kürzlich einen neuen Sponsor vorgestellt: einen Schmerzmittel-Hersteller. Kann man den Wettbewerb ohne Schmerzmittel nicht überstehen, oder was ist die Botschaft dieser Partnerschaft?

Al-Sultan: Das tut jedem Triathleten in der Seele weh. Ich habe nie Schmerzmittel genommen, weder vor noch nach dem Rennen. Jeder weiß doch inzwischen auch, wie gefährlich Schmerzmittel sind. Man muss ja für die WTC fast schon hoffen, dass dieser Pharmakonzern gewaltig viel Geld für die Partnerschaft bezahlt hat. Was für ein riesiges PR-Desaster und schlechtes Signal für unseren Sport.

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