Werbung ohne Evidenz: Der Professor und das „gute“ Wasser – DER SPIEGEL – Wissenschaft

Der Werbefilm, der den Deutschen das Leitungswasser madig machen soll, ist 17 Minuten lang und simpel produziert. Professor Doktor Ingo Froböse beantwortet Fragen zum Thema, die auf Texttafeln eingeblendet werden. Er trägt kurze, grauweiße Haare, unter seinem schwarzen Oberteil mit Kragen schaut ein weißes Hemd hervor. Im Hintergrund stehen Fitnessgeräte.

Froböse ist Fachmann für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln, verrät ein Infotext. Das Logo der Universität erscheint im Film. Zudem ist das Symbol des Vereins Wassertankstelle e.V. zu sehen. Dieser hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung über Wasser zu informieren. Ein Thema, für das sich auch Froböse begeistern kann.Im Video spricht er über die Nachteile und Gefahren, die Wasser angeblich hat, wenn es aus dem Wasserhahn kommt. Es geht um Mineralstoffe im Leitungswasser, die angeblich die Funktion des Körpers beeinträchtigen und der Gesundheit schaden, um Medikamentenreste, Arsen und Blei. Dann präsentiert Froböse die vermeintliche Lösung: den Wasserfilter von Wassertankstelle e.V. Das Gerät befreie das Wasser von Schadstoffen, sodass es endlich bedenkenlos genossen werden könne.

„Wir arbeiten hier mit der Champions League zusammen, genau wie wir es auch selber sind“, sagt Froböse. Die Botschaft ist klar, hier wird ein Spitzenprodukt verkauft. Allein: Der Professor kann seine Behauptungen auf SPIEGEL-Nachfrage mit keiner einzigen wissenschaftlichen Studie untermauern. Ein Forscher der Berliner Charité bezeichnet die Aussagen als „wissenschaftlich und medizinisch völlig unhaltbar“.

Auch die Verbraucherzentrale Hamburg warnt vor dem Geschäftsmodell der Wasserfilterhersteller. Unseriöse Anbieter schürten „mit pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen Ängste, um dann ihre völlig überteuerten Messgeräte und Filtersysteme zu verkaufen.“ Verbraucher sollten sich nicht das Geld aus der Tasche ziehen lassen.

Der Vorstand des Vereins ist auch Chef der FilterfirmaWassertankstelle e.V. arbeitet mit dem Filterhersteller Truu zusammen. Dessen Geräte kosten 3700 Euro. Sie werden an die heimische Wasserleitung angeschlossen und sollen das Wasser reinigen. Verein und Firma sind dabei eng verbandelt.Der Vorstand von Wassertankstelle e.V. ist laut Vereinsregister Timo Krause, der wiederum Geschäftsführer der Truu Partner Ltd. ist, eines Unternehmens mit Sitz auf Zypern. Auf der Website von Truu wird Krause als CEO zitiert. Dass das Konstrukt vor allem Geschäftsinteressen dient, zeigt sich bei einer Infoveranstaltung der Wassertankstelle e.V. 2019 in Lübeck.

In einem Raum mit roten Plüschsesseln erwartet die Besucher ein mehrstündiger Vortrag. Rund 15 Frauen und Männer sind gekommen. Einigen geht es offenbar um die Optimierung des eigenen Körpers, andere sind wohl eher der Esoterikszene zuzuordnen. Der Referent spricht im Allgemeinen über Wasser und die Trinkwasserverordnung, die „Mineralwasserindustrie“ und Rückstände im Trinkwasser im Besonderen.Nach einer kurzen Pause übernimmt derselbe Referent die Rolle eines Unternehmensvertreters. Eben noch Redner für den Verein, stellt er nun die Produkte der Firma Truu vor, etwa den Wasserfilter für zu Hause zum stolzen Preis von 3788 Euro. Wer das Geld nicht auf einen Schlag hat, kann auch auf Raten kaufen. Wissenschaftliche Studien, die eine positive gesundheitliche Wirkung von gefiltertem Wasser zeigen, sind nicht Teil des Vortrags.Sporthochschule Köln distanziert sichDie Sporthochschule Köln ist eine Institution in Deutschland, wenn es um Sportwissenschaften geht. Wissenschaftliche Standards, evidenzbasierte Forschung – solche Werte zählen hier etwas, sollte man meinen. Doch warum gibt sich die Hochschule für solche Produkte und Aussagen her?Auf SPIEGEL-Nachfrage distanziert sich die Hochschulleitung. Man unterstütze weder die Wassertankstelle noch die dahinterstehende Firma Truu. Es bestünden keine Verbindungen oder Verträge, und die Hochschule habe auch kein Geld erhalten. Ein Antrag auf Drehgenehmigung für den Werbefilm mit Froböse sei nicht gestellt worden.Der Professor verteidigt seinen Einsatz für den Wasserfilter dagegen beharrlich. Das Video sehe er nicht als Werbung, sagte er dem SPIEGEL. „Es ist ein neutraler Film über Wasser im Allgemeinen.“ Die Firma Truu habe er nicht genannt. Hinter dem Film stehe „der gemeinnützige Verein der Wassertankstelle, welcher sich zum Ziel gesetzt hat, im Themenfeld des Trinkwassers aufzuklären. Und das halte ich für sehr wichtig.“Lobendes Gutachten, Video mit Truu-CEODen Kontakt zur Wassertankstelle beschreibt Froböse als lose, er habe kein Geld erhalten. Man habe ihn um Hilfe gebeten. Da er das Thema Wasser spannend finde, habe er zugesagt. Mit fragwürdigen Geschäften wolle er nichts zu tun haben. Der Film war allerdings nicht der einzige Einsatz des Professors für die Wassertankstelle.Erst im Februar 2019 verfasste er ein lobendes Gutachten über den Truu-Filter. Darin nennt er auch den Herstellernamen. Auf Facebook ist zudem ein weiteres Video zu finden, in dem Froböse neben Truu-CEO Krause zu sehen ist, den er mit Vornamen anspricht. In dem Beitrag richtet der Sportwissenschaftler ein Grußwort an die Besucher einer von der Wassertankstelle organisierten Veranstaltung. Auch die Adressaten duzt er.Die Firma Truu erklärte auf SPIEGEL-Nachfrage, die Aussagen der Verbraucherzentrale seien „unwahr und geschäftsschädigend“. Derzeit würden „anwaltlich entsprechende Schadenersatzforderungen“ geprüft. Man schüre in keinster Weise Ängste.Unabhängige Experten sehen das anders. Eines der Hauptargumente der Firma ist, Wasser müsse möglichst „rein“ sein, damit es vom Körper gut aufgenommen werden könne. Diese Auffassung vertritt auch Sporthochschulprofessor Froböse in den Werbevideos. Er behauptet, sehr mineralstoffarmes Wasser könne Abfallprodukte aus dem Körper besser abtransportieren.

Für Laien mag das plausibel klingen, doch mit der Funktionsweise des Körpers hat das nichts zu tun. „Was dort behauptet wird, ist wissenschaftlich und medizinisch völlig unhaltbar“, erklärt Michael Fromm vom Institut für Klinische Physiologie und Ernährungsmedizin der Charité in Berlin. Er sieht gleich mehrere Fehlschlüsse in der Argumentation.“Das größte Missverständnis besteht darin, dass der Körper Wasser angeblich unverändert aufnimmt und in sich kreisen lässt“, erklärt Fromm. In Wahrheit würden Wasser und Nährstoffe schon im Darm getrennt und durch unterschiedliche Kanäle in den Körper transportiert. Das geschieht, bevor sie wesentliche Funktionen im Körper überhaupt aufnehmen.Konzentrationen „unseriös vernachlässigt“Hinzu komme, dass der Körper nicht darauf angewiesen sei, dass der Mensch die Nährstoffzufuhr im Detail regele. Was zu viel sei, scheide er selbstständig aus, was er brauche, verwerte er, erklärt Fromm. Ohnehin gelange der Großteil der Nährstoffe über die Nahrung in den Körper, nicht über das Wasser. „Jeder weiß, dass wir drei bayerische Maß Flüssigkeit in kurzer Zeit trinken können, ohne dass der Flüssigkeits- und Nährstoffhaushalt im Körper aus den Fugen gerät – wir müssen dann nur öfter auf die Toilette.“Mit Blick auf die von der Wassertankstelle und Froböse erwähnte angebliche Schadstoffbelastung gibt das Umweltbundesamt (UBA) Entwarnung. Zwar ließen sich Arzneimittelrückstände im Trinkwasser mit den verfügbaren Aufbereitungstechniken derzeit nicht vollständig vermeiden. Die von der Wassertankstelle angesprochenen Punkte seien jedoch sehr plakativ dargestellt.In Berichten wie diesen würden die gemessenen Konzentrationen häufig „unseriös vernachlässigt“, so das UBA. Mit modernen Analysetechniken sei es heute möglich, bereits sehr geringe Mengen aller möglichen Stoffe im Trinkwasser nachzuweisen. „Es ist daher ein leichtes zu verkünden, dass unser Trinkwasser eine Vielzahl an Stoffen enthält, die eigentlich nicht dort hineingehören.“Die Trinkwasserqualität in Deutschland ist sehr gutWürden nennenswerte Schadstoffmengen im Trinkwasser gefunden, seien Behörden und Wasserversorger verpflichtet, die Konzentration zu verringern. Das gelte für Medikamentenrückstände gleichermaßen wie für Arsen, Blei, Chlor, Uran, Nitrat, Nitrit und Pflanzenschutzmittel. Die Trinkwasserqualität in Deutschland sei insgesamt sehr gut, man könne das Wasser ein Leben lang gefahrlos trinken – ganz ohne Filter.Wie die Sporthochschule Köln weiter mit dem Fall umgeht, war zunächst unklar. Es sei nötig, „die Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ zu beachten, teilte die Universität mit. „Eine Prüfung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten könnte gegebenenfalls nur von einer Untersuchungskommission vorgenommen werden.“
Icon: Der Spiegel

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