Proteste gegen Kirchengesetz in Montenegro Milos Tricks

In Montenegro hat ein neues Kirchengesetz scharfe Proteste ausgelöst. Präsident Djukanovic heizt damit die Unabhängigkeitsdebatte neu an – ein riskantes Machtspiel für die gesamte Region.

Ein Geistlicher der serbisch-orthodoxen Kirche steht vor einem Polizisten

Donnerstag, 02.01.2020  
11:46 Uhr

Montenegro gilt seit vielen Jahren als Insel der Stabilität in der unruhigen Westbalkan-Region. Der montenegrische Staatspräsident und Langzeit-Herrscher Milo Djukanovic manövrierte sein Land geschickt an den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien vorbei und führte es 2006 friedlich in die Unabhängigkeit.

Inzwischen ist der ehemalige Jungkommunist „Milo“ ein treuer Nato- und EU-Verbündeter. Dafür hat ihm der Westen in den vergangenen Jahren viele innenpolitische Affären durchgehen lassen.

Doch die Unzufriedenheit mit seiner korrupten und feudalistisch anmutenden Herrschaft ist groß im Land. Wohl auch deshalb demonstriert der „Stabilokrat“ in diesen Tagen mit einem eigentümlichen Machtspiel, dass jenseits von ihm nur Chaos droht.

Neues Kirche- und Religionsgesetz spaltet Montenegro

Die Gelegenheit dafür bietet ein neues Kirchen- und Religionsgesetz, das Ende vergangener Woche verabschiedet wurde:

Umstritten ist eine Bestimmung in dem Gesetz, der zufolge Kirchen in Montenegro für Gebäude und Land, die vor 1918 in ihrem Besitz waren, einen Eigentumsnachweis vorlegen müssen.
Andernfalls droht ihnen die Enteignung. Das Jahr 1918 bezieht sich dabei auf die Eingliederung Montenegros in das Königreich Jugoslawien.
Gerichtet ist diese Bestimmung in erster Linie gegen die einflussreiche serbisch-orthodoxe Kirche im Land, der die meisten Gläubigen in Montenegro angehören.
Für viele ihrer alten Besitztümer wird sie nur schwer Eigentumsnachweise vorlegen können, da moderne Immobilienregister in der Region überwiegend erst nach 1918 eingeführt wurden.

Obwohl internationale Gremien wie der Europarat die montenegrinische Regierung ausdrücklich aufgefordert hatten, das Gesetz in einem konstruktiven Dialog mit allen Betroffenen zu gestalten, blieb der umstrittene Passus erhalten.

Der Präsident regiert das Land wie einen Gutshof

Bei der Verabschiedung des Gesetzes in der vergangenen Woche spielten sich im Parlament in Podgorica chaotische Szenen ab. Nach lautstarken Protesten der Opposition verhaftete die Polizei 18 Abgeordnete einer proserbischen Oppositionsallianz, gegen drei von ihnen läuft ein Strafverfahren.

Seither demonstrieren landesweit täglich tausende Menschen und blockieren teilweise Nationalstraßen, immer wieder kommt es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Auch in Serbien und in der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina kam es zu Protesten gegen das Gesetz. In Belgrad beschmierten Nationalisten die montenegrinische Botschaft.

Staatspräsident Djukanovic beeindruckte das wenig – er unterzeichnete das Gesetz nur einen Tag nach dessen Verabschiedung. Dabei geht es gar nicht so sehr um das Kircheneigentum an sich. Vieles spricht dafür, dass der Staatschef vor allem die absehbare Konfrontation bewusst sucht. Denn sie lenkt von den wirklichen Problemen in Montenegro ab:

Djukanovic, seine Familienangehörigen und ein enger Kreis von Vertrauten herrschen im Land seit drei Jahrzehnten wie auf einem privaten Gutshof.
Sie sind in zahlreiche Korruptionsaffären verstrickt, ohne sich jemals dafür verantworten zu müssen.
Wahlen im Land werden regelmäßig nachweislich zugunsten von Djukanovics regierender „Demokratischer Partei der Sozialisten“ (DPS) gefälscht, einen Machtwechsel gab es in Montenegro noch nicht.
Im Ausland erkauft sich Djukanovic Zustimmung, indem er sich als verlässlicher Partner bei Nato-Operationen oder als Bollwerk der EU in der Flüchtlingskrise anbietet.
Doch seit einem Jahr erschüttert Dusko Knezevic, ein abtrünniger Oligarch, „Milos“ System: Er veröffentlicht immer wieder Videos, die Bestechungen und eine illegale Finanzierung der DPS zeigen. Die montenegrinische Öffentlichkeit reagierte empört. Vor den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen ist das eine reale Bedrohung für die Macht von Djukanovic und seiner Partei.

MALTON DIBRA/EPA-EFE/REX
Milo Djukanovic: Das neue Kirchengesetz unterschrieb er kurz nach der Verabschiedung, die Öffentlichkeit reagierte empört

Bischof der serbisch-orthodoxen Kirche warnt vor Bürgerkrieg

In solchen, für ihn heiklen innenpolitischen Situationen hat Djukanovic das Thema der Unabhängigkeit Montenegros vom einstigen Staatsverband mit Serbien wie auch die Debatte um eine eigenständige montenegrinische Identität immer wieder bemüht. Er versucht, zu polarisieren und sich selbst als Patriot und Bewahrer der Integrität des Landes darzustellen. Gelegen kommt ihm dabei die Haltung des stärksten Oppositionsbündnisses, der „Demokratischen Front“, die klar proserbisch ausgerichtet ist. Sie lässt sich gut als Fünfte Kolonne Belgrads darstellen.

Auch den Konflikt mit der serbisch-orthodoxe Kirche in Montenegro schürt der Staatchef. Montenegro versucht seit Jahren, die 1993 gegründete montenegrinisch-orthodoxen Kirche zur offiziellen Mehrheitskirche zu machen, allerdings erfolglos. Sie ist innerhalb der Orthodoxie nicht anerkannt und hat nach inoffiziellen Schätzungen nur wenige tausend Anhänger.

Ob „Milos“ Taktik ausgeht, ist derzeit offen. Dass es eine gefährliche Taktik ist, daran besteht kein Zweifel: Montenegros Regierung warnte die serbisch-orthodoxe Kirche, die Staatlichkeit des Landes zu untergraben. Der Bischof der Kirche, Amfilohije, prophezeite seinerseits, es könne sogar zum „Bürgerkrieg“ kommen.

Auch eine Internationalisierung des Konfliktes droht: Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic sagte, er sende ein „Signal der Einheit an alle Serben, egal, welche Grenzen sie teilen“. Das lässt sich auch als Drohung an die Adresse Montegros interpretieren. Im Moskauer Außenministerium hingegen hieß es: Das montenegrinische Religionsgesetz sei ein „Angriff auf die Einheit der Orthodoxie“.

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