SPD bezwingt sich selbst – DER SPIEGEL – Politik

Nur etwas weniger als 40 Prozent. Für die SPD. Nach zahllosen Wahlschlappen in Serie, trotz Dauersiechtum im bundesdeutschen Umfragekeller, trotz anhaltender Sinnsuche unter dem neuen Spitzenduo – die Sozialdemokraten können tatsächlich noch Wahlen gewinnen.

Zwar sacken die Genossen im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren deutlich ab. Damals holte Olaf Scholz noch mehr als 45 Prozent. Aber das dürfte in der SPD an diesem Sonntag niemanden kümmern. Denn mit diesem Ergebnis, wie es sich nun bei der Bürgerschaftswahl abzeichnet, hatten wohl selbst die kühnsten Optimisten in der Partei nicht gerechnet. Erst in den letzten Wochen war die SPD in den Umfragen dem grünen Koalitionspartner davongeeilt, auch die Vorwürfe im Cum-Ex-Skandal schadeten nicht.Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher kann also weiterregieren. Sein Sieg wird auch die Parteiführung in Berlin freuen. Dabei hat die Hansestadt-SPD eigentlich ihre eigene Bundespartei geschlagen. Im Wahlkampf ging man auf maximale Distanz zum Willy-Brandt-Haus, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mussten draußen bleiben. Tschentschers SPD gibt sich wirtschaftsfreundlich mit grünem Anstrich – als Beleg dafür, dass die Sozialdemokratie dringend einen Linksruck braucht, taugt die Hamburg-Wahl sicher nicht.

Die Grünen legen mal wieder massiv zu, sie können ihr letztes Ergebnis wohl verdoppeln. Und doch wird der eine oder andere womöglich ein wenig enttäuscht sein, dass es nicht gereicht hat, die SPD zu überholen. Zugeben wird das niemand, aber Katharina Fegebank hatte den klaren Anspruch formuliert, Tschentscher zu verdrängen, um nach Winfried Kretschmann den zweiten Regierungschefposten in einem Bundesland zu besetzen. Zwischenzeitlich gaben ihr die Demoskopen durchaus Chancen.Nun muss sich Fegebank erneut mit der – allerdings enorm gestärkten – Juniorrolle begnügen. Dass SPD und Grüne in Hamburg gemeinsam weitermachen, liegt nahe, auch wenn es rechnerisch auch für eine schwarz-rote Koalition reichen könnte. Die Große Koalition in Hamburg ist rot-grün.

Zumal: Warum sollte die SPD die CDU für ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten mit einer Regierungsbeteiligung belohnen? Dass die Christdemokraten in Hamburg gerade noch zweistellig werden, ist ein Debakel für die Partei. Nun mag die Ausgangslage für die CDU speziell in Hamburg schwierig gewesen sein. Aber die Wahlschlappe ist auch Ausdruck der Orientierungslosigkeit der Bundespartei. Und das Thüringer Debakel um die Ministerpräsidentenwahl des FPD-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD und das anschließende Rumgeeiere gab der Union den Rest. Der Druck auf die CDU-Bundesspitze, schon am Montag in Berlin Klarheit über das weitere Vorgehen bei der Bestimmung der neuen Führung zu schaffen, ist nun enorm.

Die Folgen des Eklats von Erfurt bekommt auch die FDP in Hamburg zu spüren. Die Liberalen müssen um den Einzug in die Bürgerschaft bangen. Zwar gilt die Partei in der Hansestadt schon immer als Fahrstuhlmannschaft, aber der Trend zeigte nach Thüringen noch einmal klar nach unten. Und die Hamburger Liberalen machen keinen Hehl daraus, dass Thüringen eine schwere Hypothek im Wahlkampf war. Sollte die FDP tatsächlich an der Fünfprozenthürde scheitern, könnte es für FDP-Chef Christian Lindner noch einmal ungemütlich werden.

In Hamburg zog die AfD einst erstmals in ein westdeutsches Landesparlament ein. Nun könnten die Rechtsaußen hier aus dem bundesweit ersten Parlament wieder rausfliegen. Nach einer langen Erfolgsserie wäre das der erste Dämpfer für die Partei.Eine Rolle gespielt haben könnten dabei die rassistisch motivierten Morde von Hanau. Der Schock darüber in Deutschland sitzt tief, und womöglich dämmert dem einen oder anderen Wähler, der die AfD noch immer für eine bürgerliche Partei gehalten hat, dass ihre radikale Politik und Rhetorik den Weg für solche Taten bereiten kann.Gerade SPD und Grüne haben sich seither noch dezidierter antifaschistisch positioniert – was ihnen im urbanen Milieu noch einmal Zulauf beschert haben könnte.
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