Heroische Führung Weint Angela Merkel heimlich?

„Sie ist nicht Mensch und nicht Maschine“, lautet ein Spottgedicht in der CDU über Angela Merkel. Was als Beleidigung gedacht war, zeigt ihren größten Vorteil: So kalt wie diese Frau kann ein Mann gar nicht sein.

Angela Merkel

Donnerstag, 27.09.2018  
14:55 Uhr

Es gibt ein Schmähgedicht aus den Anfangstagen ihrer Kanzlerschaft. Der Urheber ist unbekannt. Manche sagen, Christian Wulff sei der Verfasser, was der auf Nachfrage sicherlich bestreiten würde.

„Sie ist nicht Mensch und nicht Maschine“, geht der Text. „Was sie nicht kennt, das sind Gefühle / Hobbys hat sie keine – das bisschen Bayreuth reicht nicht aus / Sie kennt nur Arbeit, Macht – und aus.“

Es ist ein böser Text, geschrieben in herabsetzender Absicht. Aber er transportiert ungewollt eine Wahrheit über diejenigen, die sich das ausgedacht und in kleinen Runden weitergetragen haben: Keiner ihrer Verächter ist Angela Merkel gewachsen. Sie ist, allein aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur, allen über.

Im rechten Lager zählen sie seit dem Sturz des treuen Knappen Kauder die Tage. „Der Countdown für Angela Merkels Kanzlerschaft hat begonnen“, hieß es kurz nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses bei „Tichys Einblick“. „Die Merkeldämmerung hat endgültig eingesetzt“, frohlockte Alice Weidel. Links der Mitte ist die Freude etwas verhaltener, aber auch hier sieht man das Ende nah. Dass die Linkspartei die Vertrauensfrage fordert, geschieht in der Erwartung, dass die Kanzlerin eine Abstimmung im Parlament nicht überleben würde.

Ich habe „Merkel“ und „Anfang vom Ende“ mal bei Google eingeben. Als einer der ersten Treffer stieß ich auf einen „Zeit“-Artikel aus dem Jahr 2015. Wenn man länger sucht, finden sich noch weit ältere Texte.

Die „Berliner Zeitung“ rief 2013 den „Anfang vom Ende der Ära Merkel“ aus. Der Politikwissenschaftler Dr. Hajo Schumacher schrieb im Februar 2012 in der „Berliner Morgenpost“ über den „möglichen Anfang vom Ende der Macht von Angela Merkel“ (da hatte Merkel gerade Joachim Gauck als Bundespräsidentenkandidaten vor die Nase gesetzt bekommen). Robin Alexander fragte sich vor den Schicksalswahlen in Baden-Württemberg im März 2011: „Für Merkel vielleicht der Anfang vom Ende?“ Und mein Freund Jakob Augstein, always on top, entwarf vor sieben Jahren bereits einen „vorgezogenen politischen Nachruf“. Überschrift: „Merkels Endspiel“.

Das Bemerkenswerte an Merkel ist ihre Ungerührtheit

Ich habe die Suche nach dem ersten „Anfang vom Ende“-Artikel irgendwann abgebrochen. Wahrscheinlich begann das Ende der Kanzlerschaft Merkel am Tag ihrer Vereidigung im Herbst 2005.

Das Bemerkenswerte an Merkel ist ihre Ungerührtheit. Noch die größten Katastrophen erträgt sie mit stoischer Gelassenheit. Ich habe sie noch nie aufgeregt oder empört gesehen. Selbst grobe Beleidigungen nimmt sie mit buddhistischem Gleichmut.

Sie kann sich über andere ärgern, so ist es nicht. Sie gestattet sich auch, nachtragend zu sein, jedenfalls in Anflügen. Als Putin einmal seinen Hund auf sie hetzte, war klar, dass sie ihm das nicht verzeihen würde. Sie hat auch Erdogan nicht vergessen, dass er sie als Nazilette bezeichnet hat. Selbst schuld, wenn der Türke glaubt, er könne nach Deutschland kommen und mit ihr abends anstoßen.

Einmal soll Merkel sogar geweint haben. Da war sie Umweltministerin im Kabinett Kohl. Es ging um eine Verordnung zum Sommersmog. Kohl bürstete die junge Ministerin unwirsch ab, worauf ihr das Wasser in die Augen schoss. Als Obama sich verabschiedete, habe sie eine Träne im Auge gehabt, hieß es, aber das muss man eher metaphorisch verstehen. Mehr Emotion war nicht in 30 Jahren Politikleben, die spart sie sich für andere Gelegenheiten auf.

Eine Umkehr der Rollenbilder

Manche Männer bringt die Unerschütterlichkeit buchstäblich um den Verstand. Man sagt Frauen ja nach, dass sie ihre Gefühle schlecht im Griff hätten, während Männer in Krisen kalt bis ins Herz seien. Wir erleben eine interessante Umkehr der Rollenbilder.

Man kann das an Horst Seehofer studieren, der sich zu politischen Torheiten hinreißen ließ, weil er es einfach nicht mehr ertrug, wie ihn die Kanzlerin ins Leere laufen ließ. Oder denken Sie an Hans-Georg Maaßen, den unglücklichen Verfassungsschutzchef. Ein tadelloser Beamter, der es gewohnt ist, seine Worte zu wägen, Jurist durch und durch, bis er mit ein paar Sätzen seinen Feinden den Strick in die Hände drückte, an dem sie ihn dann aufknüpfen konnten. Die Erklärung? Nervenschwäche. Maaßen hat es nicht mehr ausgehalten, wie seine Sicherheitsbedenken vom Kanzleramt ein ums andere Mal mit den fadenscheinigsten Argumenten abgebürstet wurden. He couldn’t take it anymore, würde man im Amerikanischen sagen. Auch so lockt man Menschen aus der Reserve.

Wer nichts persönlich nimmt, ist im Vorteil. Er wartet einfach ab, bis sich die Dinge wieder zu seinen Gunsten wenden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Angela Merkel auch über den Sturz ihres Fraktionschefs hinwegkommen wird. Ein böser Schlag, sicher, unnötig zudem, wie sie sagen würde. Aber nichts, weshalb man die Brocken hinwirft. Da ist sie schon mit ganz anderen Widrigkeiten fertig geworden.

Mitleidlosigkeit gegen sich selbst

Der einzige, der die Kanzlerschaft aus freien Stücken aufgab, war Willy Brandt. Aber der war auch die Romy Schneider unter den deutschen Regierungschefs. Kein Politiker hat die Menschen mit seinen Stimmungsumschwüngen mehr bewegt als der Mann, den alle nur Willy nannten. Er war der König der Herzen. Aber deshalb reichte am Ende auch eine im Grunde belanglose Affäre, um ihn aus dem Amt zu kippen.

Angela Merkel kippt niemand so einfach heraus. Ihre Politik mag links sein, in ihrem Politikstil ist sie konservativ bis ins Mark. Sich nicht beklagen, keine Schwäche zeigen, was ansteht, erledigen: Wenn es etwas gibt, was die Ästhetik heroischer Führung ausmacht, dann ist es die Mitleidlosigkeit gegen sich selbst. Sollen die Linken ihre Befindlichkeiten pflegen: Die Kanzlerin zieht die Dinge durch. Ich bewundere das. Lieber eine Trümmerfrau an der Spitze, die ungerührt die Scherben wegkehrt, als eine dieser Mimosen, die überall Kränkungen wittern.

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