Facebooks Digitalwährung Keine Likes für Libra

Facebooks Digitalwährung Libra wird im US-Kongress scharf kritisiert, ein Abgeordneter findet sie gar gefährlicher als Osama bin Laden. Der Streit zeigt, wie sehr Amerikas Liebe zu den Tech-Konzernen erkaltet ist.

Alex Wong / AFP
Facebooks Libra-Chef David Marcus während der Kongress-Anhörungen

Samstag, 20.07.2019  
13:30 Uhr

Einer der höchsten Werte der USA ist traditionell der Fortschritt. Der Glaube an die positiven Folgen von Technologie war lange so stark, dass sich entsprechende Unternehmen praktisch alles erlauben konnten. Datenschutz? Kartellgefahr? Nicht so wichtig. Facebook, Apple und Co. hatten bisher eine Art regulatorischen Freifahrtschein.

Nun plötzlich ist dieses Privileg bedroht. Amerikas Tech-Konzernen schlägt ungewohnt viel Widerstand entgegen.

„Man hat uns gesagt, dass Innovation immer gut ist“, wetterte der kalifornische Abgeordnete Brad Sherman bei einer Anhörung am Mittwoch im US-Kongress. Doch dem sei nicht so. „Die innovativste Sache in diesem Jahrhundert geschah, als Osama bin Laden die innovative Idee hatte, zwei Flugzeuge in Türme zu steuern.“ Und die Libra, die geplante Digitalwährung von Facebook, könnte für Amerika sogar noch gefährlicher werden als bin Laden, fügte Sherman allen Ernstes hinzu.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass sich der Kongress mit dem Libra-Projekt befasst, das die Art, wie wir bezahlen, revolutionieren soll. Die entsprechenden zweitägigen Anhörungen gerieten zu einer Generalabrechnung mit Facebook. Die Abgeordneten bombardierten den nach Washington angereisten Libra-Chef David Marcus mit Kritik. Der Konzern, der lange als amerikanisches Leuchtturmunternehmen gefeiert wurde, wirkte plötzlich eher wie ein Hort des Bösen.

Dado Ruvic / REUTERS
Libra-Logo

„Ich traue Euch Jungs nicht“, beschied die republikanische Senatorin Martha McSally Libra-Chef Marcus. „Und ich bin nicht allein.“

Facebook sei mit über zwei Milliarden Nutzern „kein Unternehmen mehr“, warnte US-Senator John Kennedy. „Es ist ein Staat.“

Mit Libra würden Facebook und seine Partner „immense wirtschaftliche Macht ausüben, die Währungen und Regierungen destabilisieren könne“, sagte Maxine Waters, die demokratische Vorsitzende des Finanzausschusses im Repräsentantenhaus.

Marcus, 46, Anzug und Krawatte statt Hoodie, kurze graue Haare, randlose Brille, ließ das parlamentarische Trommelfeuer äußerlich beherrscht über sich ergehen. Er antwortete ausgesucht höflich. Nur manchmal verzogen sich seine Lippen zum dünnen Strich, und Marcus faltete die Hände wie zum Gebet.

REUTERS / Leah Millis
Facebook-Chef Mark Zuckerberg

„Bringing the world closer together“, die Welt enger zusammenbringen, so lautet Facebooks selbsterklärtes Ziel. Bei der Libra scheint das schon vor dem Start des Projekts gelungen zu sein – nur eben anders, als es sich die Techies aus dem kalifornischen Menlo Park erhofft hatten. Vereint ist die Welt vor allem im Widerstand gegen Facebook.

Politiker, Experten und Aufsichtsbehörden in vielen Ländern teilen die Sorge, dass die Privatwährung Risiken für das Finanzsystem, den Wettbewerb und die Gesellschaft bringt. Die G7-Finanzminister haben ihre Bedenken genauso kundgetan wie US-Notenbankchef Jerome Powell oder Präsident Donald Trump.

Im US-Kongress verbindet Demokraten und Republikaner ein wachsendes Misstrauen gegen einen Konzern, der Datenschutz vielfach ignoriert hat und gegen den die Verbraucherschutzbehörde FTC gerade eine Strafe von fünf Milliarden Dollar verhängt hat.

Amerika durchlebt einen Fall von enttäuschter Liebe. In einer Umfrage des Meinungsinstitutes Harris zur Reputation der 100 bekanntesten Unternehmen ist Facebook von Platz 51 der Rangliste auf Platz 94 im Jahr 2019 abgestürzt. Traditionell ist den Amerikanern Datenschutz eher gleichgültig, aber nach einer Serie von Skandalen wird vielen doch zunehmend mulmig.

Logo von Facebook

Die EU habe Regelungen beschlossen, die ihren Bürgern Kontrolle über die eigenen Daten gebe, lobte der republikanische Senator Mike Crapo. „Wir müssen ähnliche Verpflichtungen etablieren.“ Es passiert nicht oft, dass US-Politiker Europa als Vorbild zitieren.

„Facebook ist gefährlich“, sagte Senator Sherrod Brown aus Ohio. Das soziale Netzwerk habe den politischen Diskurs zerstört, den Journalismus kaputtgemacht, die russische Wahlkampfeinmischung zugelassen und dabei geholfen, einen Völkermord auszulösen. „Sie zerstören unsere Demokratie.“

Als Zuckerberg jüngst Nancy Pelosi kontaktierte, war die Sprecherin des Repräsentantenhauses laut einem Bericht der „Washington Post“ für den berühmten Gründer nicht zu sprechen – und sie rief auch nicht zurück.

JIM LO SCALZO/EPA-EFE/REX
US-Demokratin Nancy Pelosi

Facebook ist nicht der einzige Tech-Konzern, der in Ungnade fällt. Vor allem die Demokraten, die im liberalen Silicon Valley lange natürliche Verbündete sahen, lehnen sich inzwischen auch gegen andere Firmen auf. Selbst die Forderung von Präsidentschaftsbewerberin Elizabeth Warren, die Internetgiganten Amazon, Google und Facebook zu zerschlagen, wird zunehmend ernsthaft diskutiert.

Parallel zur Libra-Anhörung beschäftigte sich diese Woche noch ein Ausschuss mit der Macht und den Praktiken der Tech-Riesen. Der Facebook-Konzern, zu dem neben dem sozialen Netzwerk auch die Dienste Instagram, WhatsApp und Facebook Messenger gehören, geriet auch dort ins Visier: „Wenn ein Konzern vier der sechs weltweit größten Institutionen gemessen an aktiven Nutzern besitzt, dann gibt es dafür ein Wort“, sagte der demokratische Abgeordnete Joe Neguse. Und zwar: „Monopol.“

Das Marktdurchdringungsmodell von Facebook funktioniere nach der Methode „Catch and kill“, urteilte auch sein Senatskollege Mark Warner. Immer wenn ein Herausforderer dem Riesen gefährlich werde, kaufe man dessen Technologie oder Idee einfach auf. Ob das auch bei Libra so laufen solle?

Libra-Topmanager Marcus blieb nur, immer wieder zu beteuern, dass man nicht starten werde, bevor alle regulatorischen Bedenken geklärt seien. Der Forderung, das Projekt erst einmal auf Eis zu legen, wollte er aber nicht nachgeben.

Die mächtige US-Finanzpolitikerin Waters arbeitet deshalb schon an einem Gesetz, das den großen Internetkonzernen verbieten würde, als Finanzinstitut zu agieren: dem „Keep Big Tech Out of Finance Act“.

Quelle